Eine fruchtbare Methode innerhalb der Philosophie kann darin liegen, sich scheinbar nebensächlichen, alltäglichen Themen zuzuwenden. So in etwa dem Verhältnis von Denken und Architektur, wie sich dieser Text anhand des neu erschienen Buches Nietzsches Architektur der Erkennenden von Stephen Griek aufzuzeigen bemüht. Mit Nietzsche gedacht, so Michael Meyer-Albert, ist der Schutz einer Behausung – im wörtlichen wie übertragenen Sinne – vor dem Chaos der Wirklichkeit unabdingbar für ein gelungenes Weltverhältnis. Dies kommt ihm in Grieks postmodernem Ansatz, der auf maximale Öffnung abzielt und an die Stelle klarer räumlicher Strukturen diffuse nomadische Netzwerke setzen möchte, zu kurz. Architektur als Kunst der nichtgewaltsamen Verwurzelung werde so undenkbar; das „Haus des Scheins“, das die menschliche Existenz trägt, kollabiere.
Künstler kommen bei Nietzsche oft nicht gut weg. Sie stellen den Prototypen des unselbstständigen, wahrheitsfeindlichen und wirklichkeitsverneinenden Menschen dar, der ohne Selbstbeherrschung seinen eigenen Stimmungen ausgeliefert ist. Ein kindisches, dramatisierendes, jähzorniges und im Ganzen lächerliches Wesen, ein Egomane, dessen Handeln und Gehabe allein darauf ausgerichtet ist, um den Beifall der Anderen zu buhlen. Oder ist Nietzsche hier nicht ganz beim Wort zu nehmen? Sollte damit tatsächlich sein letztes Urteil über den kreativen Geist gefallen sein?
Vieles von dem, was Nietzsche am Künstler beschreibt, entwickelt er an der Figur Richard Wagner, mit dem ihn eine kurze, intensive, letztlich aber vor allem enttäuschende Bekanntschaft verbindet. Der Künstler und der Denker, so hätte für Nietzsche eine Zeit lang die ideale Freundschaft aussehen können. Aber nach dem Bruch mit Wagner hat Nietzsche viel Abfälliges über den Künstler als Typus zu sagen. Wie anders – zum Vergleich – gestaltet sich die Freundschaft zwischen Künstler und Denker in Narziß und Goldmund von Hermann Hesse, der sich ausführlich mit Nietzsche auseinandersetzt.
Im folgenden Artikel gibt Christian Saehrendt einen kurzen Einblick in das Werk eines der vielleicht umstrittensten, aber auch einflussreichsten Nietzsche-Interpreten des 20. Jahrhunderts: den deutschen Philosophen Oswald Spengler (1880–1936). Der Verfasser von Der Untergang des Abendlandes (1917/22) gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Konservativen Revolution“, einer intellektuellen Strömung, welche vor 1933 maßgeblich an der kulturellen Destabilisierung der Weimarer Republik beteiligt war. In Deutschland weitgehend in Vergessenheit geraten, wird er im globalen Kontext weiterhin eifrig rezipiert, so etwa in Russland.
Nachdem Michael Meyer-Albert im ersten Teil seines Textes die, traurige, Geschichte von den Selbstzweifeln der Aufklärung erzählte, berichtet er nun von Nietzsches „fröhlicher Wissenschaft“ als Gegenentwurf.
Für kaum einen anderen Philosophen hatte die Musik eine so große Bedeutung wie für Nietzsche. „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrthum“1, schrieb er. Christian Saehrendt geht für Nietzsche POParts der Frage nach, wie sich diese hohe Wertschätzung der Klangkunst in seinem Leben und Werk manifestierte. Er kommt dabei auf Nietzsches eigene Kompositionen ebenso zu sprechen wie auf einen der ikonischsten Aspekte seines Lebens: seine Freundschaft mit Richard Wagner. Er zeigt, dass die Musik für Nietzsche eine geradezu erotische Bedeutung hatte – und er in dieser Hinsicht gar nicht so „unzeitgemäß“, sondern ein typisches Kind seiner Zeit war.
Nietzsche gilt gemeinhin als schriftstellerischer Philosoph, dessen aphoristische Nihilismen nicht nur den Tod Gottes beschwören, sondern der auch als postumer Meisterdenker die dunklen Seiten der deutschen Geschichte bestärkte. Demgegenüber möchte der folgende Text als Teil der Reihe Was bedeutet Nietzsche für mich? dazu einladen, Nietzsche neu lesen zu lernen als den Entdecker des allzuunbekannten philosophischen Kontinents eines mediterranen Existenzialismus.
Der späte Nietzsche imaginiert sich immer wieder als Nachfahren polnischer Adliger. Es handelt sich dabei nicht nur um eine persönliche Marotte, sondern sagt etwas über Nietzsches philosophische Positionierung aus: Polen ist für ihn eine Art ‚Anti-Nation‘, ein Volk der „großen Einzelnen“ – und nicht zuletzt die polnische Adelsrepublik die politische Utopie eines radikaldemokratischen Gemeinwesens, das gerade in seinem Scheitern seiner Vorstellung eines „aristokratischen Radikalismus“ entspricht. Paul Stephan geht in diesem long read der tieferen Bedeutung dieses Themas bei Nietzsche nach und hinterfragt seine Verklärung der alten Rzeczpospolita: Aus politischer Sicht handelt es sich um kein so erstrebenswertes Modell, wie es Nietzsche suggeriert. Weiter führen in dieser Hinsicht Jean-Jacques Rousseaus Betrachtungen über die Regierung Polens von 1772.
Unser Stammautor Christian Saehrendt berichtet in seinem Beitrag zur Reihe „Was bedeutet Nietzsche für mich?“ davon, wie er Nietzsche als Jugendlicher entdeckte und sich seitdem als Fan des Philosophen betrachtet – gerade wegen seiner Widerborstigkeit.
In seiner jüngst erschienenen Studie Theorie der Befreiung fasst der Frankfurter Philosoph Christoph Menke Befreiung als „Faszination“, als lustvolle Desubjektivierung und Hingabe. Er bezieht sich dabei an entscheidender Stelle auf Nietzsche – doch für den bedeutet „Faszination“ gerade Verhexung, die Verstrickung in Unfreiheit und Ressentiment. Kann uns die mystische Kraft der Faszination wirklich befreien – oder ist nicht eher Nietzsche Recht zu geben und Befreiung bedeutet vor allem Selbstermächtigung und Autonomie, die faszinierte Aufopferung hingegen Unterwerfung, nicht zuletzt unter einen faschistischen Führer?