Nietzsches bekannteste Formulierung, wonach Gott tot sei, zeigt nicht nur eine antireligiöse Stoßrichtung. Sie weist vor allem darauf hin, dass in der Moderne konstitutive Selbstverständlichkeiten keine traditionelle Geltung mehr besitzen. Indem das kulturelle Verständnis von Wahrheit ins Wanken geraten ist, ist nicht nur diese oder jene Wahrheit fraglich geworden, sondern das Verständnis von dem, was überhaupt Wahrheit ist. Damit gerät die Aufklärung unter den Druck, die Fragen zu finden, auf die sie die Antwort sein soll. Es ist dieser Abgrund einer unheimlichen Fraglichkeit, aus dem Nietzsches Denken versucht, Auswege zu zeigen, die lebbar sind. Im ersten Teil seines Textes Aufklärungsdämmerung erzählt Michael Meyer-Albert vom aufgeklärten Zweifel der Aufklärung an ihr selbst.
Nietzsche gilt gemeinhin als schriftstellerischer Philosoph, dessen aphoristische Nihilismen nicht nur den Tod Gottes beschwören, sondern der auch als postumer Meisterdenker die dunklen Seiten der deutschen Geschichte bestärkte. Demgegenüber möchte der folgende Text als Teil der Reihe Was bedeutet Nietzsche für mich? dazu einladen, Nietzsche neu lesen zu lernen als den Entdecker des allzuunbekannten philosophischen Kontinents eines mediterranen Existenzialismus.