Vielleicht ist es Nietzsches philosophische Haupterrungenschaft, dass er das Denken als einen Vorgang beschrieb, der leibhaftig geschieht. Reflexion ist für ihn eine kooperative Spannung von Leib und Geist. Das Denken ist geerdet in der nervösen Weltoffenheit des Leibes. Nietzsches Umkehrung des Christentums: Das Fleisch wird Wort. Damit zeigt sich Denken in Gesten. Im Folgenden soll eine Skizze geliefert werden, die die Haupttypen dieser reflexiven Gestiken andeutet. Es soll dadurch verdeutlicht werden, was es heißt, wenn sich Nietzsche selbst immer wieder als ein Wanderer beschreibt. Ein intellektueller Rundgang, der vom Stehen und dem Sitzen als Grundmodi der traditionellen Philosophie hin zum Gehen, (Aus-)Wandern und halkyonischen Fliegen als Nietzsches alternativen Modi eines befreiten Denkens und Lebens führt.
Unsere Autorin Natalie Schulte ist neun Monate in Südostasien mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. 5.500 km hat sie zurückgelegt durch Vietnam, Kambodscha, Thailand und Malaysia. Mit im Gepäck zur Motivation und Auseinandersetzung war wie schon häufiger Also sprach Zarathustra. Aber auch jenseits dieses Werkes waren Gedanken Nietzsches häufig präsent. In ihrer kurzen Essayreihe erzählt sie von ihren Reiseerfahrungen mit und ohne Nietzsche.
Vor 100 Jahren starb Franz Kafka. Der folgende Text ist ein Aktualisierungsversuch, der sich seinem Werk mit einer von Nietzsche inspirierten sozio-psychologischen Perspektive nähert. Seine These: Kafka zeigt erzählend, wovon Nietzsche philosophiert. Michael Meyer-Albert will dafür werben, in den als düster-surreal geltenden Fiktionen eines der bedeutendsten Autoren der Moderne die Logik einer nichtnaiven Weltaufhellung zu finden: Lebensbejahung statt Suizid.
Redaktioneller Hinweis: Einige schwierige Fachbegriffe haben wir in den Fußnoten erläutert.
In knapp 2.500 m Höhe entspringt in der Südostschweiz, im Kanton Graubünden, der Fluss Inn. Über eine Strecke von 80 km fließt er zunächst durch ein Hochgebirgstal, das man das Engadin nennt. Er durchzieht hier, unweit des mondänen Kurorts St. Moritz, zwei kleine Seen, den Silsersee und den Silvaplanersee, zwischen denen das idyllische Bergdorf Sils Maria liegt. Der Philosoph Friedrich Nietzsche verbrachte in dieser erlesenen Landschaft mehrere Sommer und ließ sich von ihr zu einigen seiner wichtigsten Werke inspirieren. Christian Saehrendt begab sich an diesem vielleicht wichtigsten „Pilgerort“ der Nietzsche-Szene auf Spurensuche.
Eine fruchtbare Methode innerhalb der Philosophie kann darin liegen, sich scheinbar nebensächlichen, alltäglichen Themen zuzuwenden. So in etwa dem Verhältnis von Denken und Architektur, wie sich dieser Text anhand des neu erschienen Buches Nietzsches Architektur der Erkennenden von Stephen Griek aufzuzeigen bemüht. Mit Nietzsche gedacht, so Michael Meyer-Albert, ist der Schutz einer Behausung – im wörtlichen wie übertragenen Sinne – vor dem Chaos der Wirklichkeit unabdingbar für ein gelungenes Weltverhältnis. Dies kommt ihm in Grieks postmodernem Ansatz, der auf maximale Öffnung abzielt und an die Stelle klarer räumlicher Strukturen diffuse nomadische Netzwerke setzen möchte, zu kurz. Architektur als Kunst der nichtgewaltsamen Verwurzelung werde so undenkbar; das „Haus des Scheins“, das die menschliche Existenz trägt, kollabiere.
In seiner jüngst erschienenen Studie Theorie der Befreiung fasst der Frankfurter Philosoph Christoph Menke Befreiung als „Faszination“, als lustvolle Desubjektivierung und Hingabe. Er bezieht sich dabei an entscheidender Stelle auf Nietzsche – doch für den bedeutet „Faszination“ gerade Verhexung, die Verstrickung in Unfreiheit und Ressentiment. Kann uns die mystische Kraft der Faszination wirklich befreien – oder ist nicht eher Nietzsche Recht zu geben und Befreiung bedeutet vor allem Selbstermächtigung und Autonomie, die faszinierte Aufopferung hingegen Unterwerfung, nicht zuletzt unter einen faschistischen Führer?